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Ausmaß der Krise der christlichen Kirchen noch größer als angenommen
Ausmaß der Krise der christlichen Kirchen noch größer als angenommen / Foto: JEFF PACHOUD - AFP/Archiv

Ausmaß der Krise der christlichen Kirchen noch größer als angenommen

Das Ausmaß der Krise der christlichen Kirchen in Deutschland ist noch größer als bislang angenommen: Mittlerweile ist eine Mehrheit von 56 Prozent der Menschen säkular und will nichts mehr mit Religion zu tun haben, wie die am Dienstag von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Ulm vorgestellte sogenannte Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung ergab. Die Studienmacher warnen bei anhaltenden Kirchenaustritten sogar vor einem "Kipppunkt" für die Organisationen - allerdings werden die Kirchen weiter als wichtiger gesellschaftlicher Faktor angesehen.

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Die EKD erstellt die repräsentative Untersuchung in großen zeitlichen Abständen seit 1972. Erstmals erhebt die Studie den Anspruch, die Einstellungen der Gesamtbevölkerung abzubilden. So wurden unter den über 5000 Teilnehmern erstmals auch Katholiken und Anhänger anderer Religionen neben Protestanten und Konfessionslosen befragt. Laut EKD ist es die umfassendste Untersuchung zu Religion und Kirche, die es in Deutschland je gab.

Als ein zentrales Ergebnis stellten die Studienmacher fest, dass unter Christen nicht nur die Kirchenbindung abnimmt, sondern auch die Religiosität allgemein. So sei eine Mehrheit von 56 Prozent der Deutschen als säkular einzustufen und wolle nichts mehr mit Religion zu tun haben.

Auch ein Drittel der Kirchenmitglieder gehöre zu dieser Gruppe. Stark religiös mit häufigen Gottesdienstbesuchen seien nur noch 13 Prozent der Kirchenmitglieder. Bei den Muslimen in Deutschland ist das Bild deutlich anders: Ein Viertel ist sehr aktiv im Glauben, nur ein Viertel säkular. Etwa die Hälfte der Muslime zählt als religiös-distanziert.

Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus zog ein gemischtes Fazit der Studie. "Das hat mich schon sehr ernüchtert - wie auch ermutigt", sagte sie in Ulm. Ernüchtert und sehr zum Nachdenken gebracht habe sie, dass der repräsentativen Studie zufolge neben der Kirchenbindung auch die generelle Religiosität der Menschen in Deutschland zurückgehe. Ermutigt habe sie hingegen, dass die Menschen nach wie vor hohe Erwartungen an die Kirchen in Deutschland hätten.

So wird auch von einer großen Mehrheit der Konfessionslosen Einsatz der Kirchen für Flüchtlinge und für Menschen mit Lebensproblemen erwartet. 73 Prozent der konfessionslosen Menschen in Deutschland wollen, dass sich die Kirchen konsequent für Geflüchtete und die Aufnahme von Geflüchteten einsetzen. Bei evangelischen Christen sind dies 77 Prozent, bei katholischen Christen sogar 80 Prozent. Dass die Kirchen Beratungsstellen für Menschen mit sozialen Probleme betreiben, wollen 78 Prozent der Konfessionslosen, 95 Prozent der Protestanten und 92 Prozent der Katholiken.

Für die katholische Kirche erklärte der Vertreter der Bischofskonferenz im Beirat der Studie, Tobias Kläden, es zeige sich ein dramatischer Vertrauensverlust besonders in die katholische Kirche. Dabei verwies er darauf, dass sich fast alle katholischen Befragten für klare Reformen der katholischen Kirche aussprechen. 96 Prozent der befragten Katholiken sagten, ihre Kirche müsse sich "grundlegend" ändern, damit sie eine Zukunft habe.

Zudem sagten 95 Prozent der Katholiken, dass Priester heiraten dürfen sollten, und 86 Prozent sind für Segnungen homosexueller Paare - beides lehnt die Amtskirche bislang ab. Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf nannte die Ergebnisse ein ungeschminktes und sehr facettenreiches Bild der aktuellen Lage von Religion und Kirche in Deutschland. Kohlgraf kündigte an, dass sich die katholischen Bischöfe bei ihrer Frühjahrsvollversammlung im kommenden Jahr mit den Ergebnissen befassen wollten.

Der Studie zufolge schließen zwei Drittel der evangelischen Kirchenmitglieder und sogar drei Viertel der Katholiken einen Kirchenaustritt als Option nicht aus - die Studienmacher sehen darin eine deutliche Zuspitzung im Vergleich zu früheren Erhebungen. "Falls all diese Mitglieder in den nächsten Jahren tatsächlich austreten sollten, steht die Kirche vor einem organisationalen Kipppunkt", heißt es in dem Text. Dann wären die Kirchen zumindest als Organisationen, wie sie heute bekannt sind, im Fortbestand gefährdet.

K.Cairstiona--NG