Menschenrechtsgerichtshof verurteilt Frankreich in Verleumdungsaffäre
Eine Französin hatte ihrem Chef sexuelle Belästigung vorgeworfen und war dann wegen Verleumdung verurteilt worden: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte nun seinerseits Frankreich, weil die Frau nicht ausreichend geschützt worden sei. Die französischen Gerichte hätten der Frau "auf exzessive Weise die Beweislast überlassen", heißt es in der am Donnerstag in Straßburg veröffentlichten Urteilsbegründung.
Die 1978 geborene Vanessa A. hatte sich in einer Mail an sechs Adressaten über das Verhalten ihres Vorgesetzten beschwert, das sie als sexuelle Belästigung empfand. Ihr Chef verklagte sie daraufhin wegen Verleumdung.
Ein französisches Gericht gab dem Vorgesetzten Recht und verurteilte die Frau zu einer Strafe von tausend Euro. Ein Berufungsgericht bestätigte das Urteil und begründete die Entscheidung damit, dass es für den Vorwurf der sexuellen Belästigung keine Beweise gebe.
Die Straßburger Richter hingegen erklärten nun, dass es bei den von der Frau als sexuelle Belästigung beschriebenen Erlebnissen ohnehin keine Zeugen gegeben habe. Die Tatsache, dass sie deswegen keine Klage eingereicht habe, reiche nicht aus, um ihr schlechte Absichten vorzuwerfen.
Ihre Mail sei zudem an einen begrenzten Personenkreis gerichtet und nicht zur Veröffentlichung vorgesehen gewesen. "Das Ziel bestand darin, die Beteiligten auf die Situation aufmerksam zu machen, um eine Lösung zu finden", hieß es weiter.
Der Menschenrechtsgerichtshof erinnerte an die "Notwendigkeit, Menschen zu schützen, die auf Mobbing oder sexuelle Belästigung aufmerksam machen, als deren Opfer sie sich empfinden". Die Verurteilung wegen Verleumdung komme daher einer Verletzung des Menschenrechts auf Meinungsfreiheit gleich. Frankreich wurde zu einer Entschädigungszahlung an die Frau in Höhe von 8500 Euro verurteilt.
W.Prendergast--NG