EU-Parlamentsvize: EU-Kommission hat bei Ungarns Rechtsstaatsverstößen versagt
Kurz vor der Parlamentswahl in Ungarn hat die sozialdemokratische Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katarina Barley, der EU-Kommission völliges Versagen im Kampf um Rechtsstaatlichkeit in östlichen Mitgliedsstaaten vorgeworfen. Die EU-Kommission sei in hohem Maße dafür mitverantwortlich, wenn sich der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban bei den Parlamentswahlen am Sonntag trotz zahlreicher Verstöße gegen europäische Rechtsstaatsprinzipien an der Macht halten könne, sagte Barley der "Augsburger Allgemeinen" (Samstagsausgabe).
"Es ist ein Versagen – von der EU und insbesondere von der Kommission, weil sie auf den Abbau der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn nicht reagiert hat", sagte die SPD-Politikerin. Leider seien bereits "Nachahmungseffekte" in anderen EU-Mitgliedstaaten zu sehen und die EU-Kommission mache keine Anstalten, "dem einen Riegel vorzuschieben".
"In Bulgarien wurde die Korruption nie richtig eingedämmt", kritisierte Barley. Auch Slowenien nehme sich Orbans umstrittene Methoden zum Vorbild. Der slowenische Ministerpräsident Janez Jansa, "ein Freund Orbans, übernimmt gezielt dessen Mechanismen, indem er als Erstes die freie Presse angreift", warnte Barley. "Die Verantwortung liegt bei der EU-Kommission, die da nicht willens ist, die zur Verfügung stehenden Instrumente anzuwenden."
Barley befürchtet nach eigenen Angaben, dass Orbans Fidesz-Partei dank umstrittener Wahlgesetze am Sonntag zum vierten Mal in Folge die Parlamentswahl gewinnt. "Dadurch, dass Orban alles nach seinen Plänen eingerichtet hat, müssten die Oppositionsparteien vier Prozent mehr Stimmen als er bekommen, um zu gewinnen. Danach sieht es nicht aus", sagte die EU-Politikerin. Dies sei aber "die letzte Wahl, bei der man Orban noch mit demokratischen Mitteln abwählen kann".
"Er hat schon jetzt den Staat so ausgestaltet, dass er selbst bei einer Niederlage alle Hebel der Macht in der Hand behält und eine neue Regierung schnell stürzen könnte", sagte Barley der "Augsburger Allgemeinen". "Er wird weiter dafür sorgen, dass das Geld in seine Taschen und die seiner Kumpels fließt."
Auch für Polens Verstöße gegen die EU-Prinzipien zur Rechtsstaatlichkeit forderte Barley harte Konsequenzen. So dürfe die EU-Kommission nicht, wie es sich derzeit abzeichne, die blockierten Gelder aus dem Corona-Wiederaufbaufonds für Polen freigeben, weil das Land so viele Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufnehme. "Mich macht das fassungslos", sagte Barley über das Einlenken der Kommission.
"Die EU sendet die Botschaft an die Autokraten: Wir verurteilen euer Verhalten, aber wenn ihr etwas uns Nützliches macht, kommt ihr damit durch", kritisierte die EU-Parlamentarierin. "Was ist das für eine EU, bei der unser aller Geld bei Regierungen landet, die die Demokratie abbauen?", kritisierte sie. Wenn die EU-Kommission in diesem Punkt nachgebe, verursache dies eine "Glaubwürdigkeitskrise bezüglich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit".
W.P.Walsh--NG