Militärischer Schlagabtausch zwischen Hisbollah und Israel droht weiter zu eskalieren
Der militärische Schlagabtausch zwischen der pro-iranischen Hisbollah und Israel droht weiter zu eskalieren. Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben in der Nacht zu Dienstag Dutzende Ziele der Schiitenmiliz im Südlibanon getroffen. Die Hisbollah überzog Israels Norden am Morgen erneut mit massiven Angriffen aus ihren Hochburgen im Libanon. Derweil gingen die internationalen Bemühungen um eine Deeskalation fieberhaft weiter - die Furcht vor einem Flächenbrand in Nahost dürfte auch beherrschendes Thema bei der am Dienstag in New York beginnenden UN-Generalversammlung sein.
Die nächtlichen Angriffe auf "Dutzende Hisbollah-Ziele" seien "in zahlreichen Gegenden im Südlibanon" erfolgt, teilte die israelische Armee mit. Weiter hieß es, ihre Artillerie und Panzer hätten überdies "terroristische Ziele" nahe der grenznahen Ortschaften Ajta al-Schab und Ramjeh getroffen, zwei Hisbollah-Hochburgen im Südlibanon.
Die Hisbollah teilte ihrerseits mit, erneut Raketen auf israelische Armeestützpunkte abgefeuert zu haben, darunter auch solche vom Typ Fadi-2. Zuvor waren rund 180 Raketen und eine Drohne in den israelischen Luftraum eingedrungen, in Israels drittgrößter Stadt Haifa wurde wie bereits am Vortag Luftalarm ausgelöst.
Nach Angaben der israelischen Armee wurden am Morgen innerhalb von wenigen Minuten mehr als 50 Geschosse auf den Norden Israels abgefeuert. Die meisten konnten demnach abgefangen werden.
Am Montag hatte die israelische Armee nach eigenen Angaben bei einer Operation mit dem Namen "Nördliche Pfeile" rund 1600 Ziele angegriffen, um Infrastruktur der vom Iran unterstützten Schiitenmiliz in den Hisbollah-Hochburgen im Südlibanon sowie der östlichen Bekaa-Ebene zu zerstören. Es habe sich um "Gebäude, Fahrzeuge und Infrastruktur" gehandelt, "wo Raketen, Lenkwaffen, Raketenwerfer und Drohnen eine Gefahr" für Israel dargestellt hätten, hieß es. Dabei sei eine "große Zahl" an Hisbollah-Mitgliedern getötet worden.
In einer Fernsehansprache am Montagabend rief Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Zivilisten im Libanon auf, die Gefahrenzone zu verlassen. Der Hisbollah warf er vor, die eigene Bevölkerung als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen.
Nach Angaben der libanesischen Regierung wurden bei den israelischen Angriffen mindestens 492 Menschen getötet und mehr als 1600 weitere verletzt. Den libanesischen Behörden zufolge waren auch 35 Kinder und 58 Frauen unter den Getöteten.
Der seit Monaten andauernde Konflikt hatte sich nach den jüngsten Explosionen von hunderten Pagern und Walkie-Talkies der Miliz und nach der Tötung einiger ihrer ranghöchsten Kommandeure erneut deutlich zugespitzt. Die Hisbollah macht Israel für die Explosionen verantwortlich und drohte mit einer "neuen Phase der Abrechnung".
Israel äußerte sich zwar nicht zur Urheberschaft der Explosionen, durch die 39 Menschen starben und tausende weitere verletzt wurden, bekannte sich aber zur Tötung der Hisbollah-Kommandeure Ibrahim Akil und Ahmed Mahmud Wahbi. Laut der Hisbollah wurden bei dem Angriff insgesamt 16 ihrer Kommandeure getötet. Nach israelischen Angaben planten diese einen Angriff auf Israel ähnlich dem der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober vergangenen Jahres.
Seit dem beispiellosen Angriff der Hamas und dem dadurch ausgelösten Krieg im Gazastreifen haben sich die regionalen Spannungen verschärft. Israels Norden steht seitdem unter Dauerbeschuss durch die mit der Hamas verbündete Hisbollah und reagiert auf die Angriffe mit Gegenangriffen im Libanon. Mehrere zehntausend Menschen auf beiden Seiten der Grenze sind seitdem zu Binnenflüchtlingen geworden.
Israel hat über internationale Vermittler wiederholt den Rückzug der schwerbewaffneten Schiitenmiliz von der libanesisch-israelischen Grenze gefordert, die unter anderem von Deutschland und den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Israels erklärtes Ziel ist eine sichere Rückkehr seiner nördlichen Bewohner.
Angesichts der jüngsten Zuspitzung des Konflikts forderte Frankreich eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats zur Lage im Libanon "noch in dieser Woche". Die G7-Außenminister betonten in einer gemeinsamen Erklärung, dass "kein Land von einer Eskalation des Konflikts profitiert" und warnten vor "unvorstellbaren Konsequenzen" eines regionalen Kriegs.
Chinas Außenminister Wang Yi sagte bei einem Treffen mit seinem libanesischen Kollegen Abdallah Bou Habib in New York, Peking verfolge die Entwicklungen in der Region "aufmerksam, insbesondere die jüngste Explosion von Kommunikationsausrüstung im Libanon". China lehne "wahllose Angriffe auf Zivilisten entschieden" ab. Zudem sicherte er Beirut seine Unterstützung zu.
Die USA stellten ihrerseits im Vorfeld der UN-Generaldebatte eine Initiative zur Deeskalation in Aussicht. Deren Ziel sei es, einen "Ausweg" zu finden, der "in erster Linie eine weitere Eskalation der Kämpfe verhindert", sagte ein hochrangiger US-Regierungsvertreter. Die Vorschläge sollten "Spannungen abbauen und in einen diplomatischen Prozess münden", der es Menschen auf beiden Seiten der israelisch-libanesischen Demarkationslinie ermögliche, "in naher Zukunft sicher nach Hause zurückzukehren."
W.Prendergast--NG